Beschreibung
Ex-Söldner Wade Wilson (Ryan Reynolds) hat als unkaputtbarer Antiheld Deadpool nur einen Traum: er möchte Teil einer echten Superheldentruppe sein! Doch weder die „X-Men“ (in diesem Comic-Kosmos feierte der „Merc with a Mouth“ 1991 tatsächlich seine Geburtsstunde) noch die „Avengers“ wollen ihn dabeihaben. Das hat zwar eine ganze Zeit lang an ihm genagt, er hat’s schlussendlich aber akzeptieren müssen.
Sechs Jahre nach den Erlebnissen der Vorgängerfilme von 2016 und 2018 genießt er nun das Zusammensein mit Familie und Freunden (das sind u. a. die Mutanten Colossus und Negasonic Teenage Warhead, der Taxifahrer Dopinder, seine in die Jahre gekommene WG-Mitbewohnerin Blind Al und natürlich seine Herzdame Vanessa) und verdingt sich als Verkäufer für Gebrauchtwagen. Eine wenig spektakuläre, aber immerhin heile Welt, in der er da lebt – genau genommen handelt es sich um die sogenannte „Earth-10005“.
Warum das erwähnenswert ist? Es durchbricht an dieser Stelle zwar ein bisschen die Erzählstruktur, aber das tut Deadpool mit dem Bruch der vierten Wand ja auch ständig: Im Marvel Cinematic Universe (MCU) gibt es das sogenannte Multiversum, in dem unterschiedliche Zeitebenen bzw. Timelines existieren. Diese kann man sich als Parallelwelten vorstellen, die alle ihre eigenen Versionen bekannter Superhelden haben. Ganz offensichtlich wurde das z. B. in Sam Raimis Film „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ (2022) thematisiert, in dem man etliche Varianten von Benedict Cumberbatchs Zauberdoktor zu Gesicht bekam.
Die Erde-10005 ist nun die Welt, in der die „Deadpool“-Filme sowie die „X-Men“-Filme (begonnen im Jahr 2000; allesamt noch aus der Schmiede des Filmstudios 20th Century Fox vor der Disney-Übernahme) angesiedelt sind. Es ist also auch die Welt, in der „X-Men“ Wolverine (gespielt von Hugh Jackman) anno 2017 in „Logan – The Wolverine“ seinen heroischen Leinwandtod starb.
Mit dem Tod von Wolverine hat Earth-10005 zugleich sein sogenanntes Ankerwesen verloren. Das sind jene Superhelden und Superheldinnen, die in ihrer respektiven Zeitebene den Ton angeben und ohne die es quasi langsam (die Rede ist von mehreren hundert Jahren) mit der Welt zu Ende geht. Eben jenes Schicksal droht nun der heilen Welt von Deadpool, wie er vom undurchsichtigen Mr. Paradox (Matthew Macfadyen) erfährt.
Er solle sich deshalb aber nicht stressen, denn Paradox könne Deadpool einen Platz auf Erde-616 anbieten – das ist die „geheiligte Zeitebene“ (im Original „Sacred Timeline“), in der das Superheldenkollektiv der Avengers – rund um Iron Man (Robert Downey Jr.), Captain America (Chris Evans), Thor (Chris Hemsworth), Hulk (Mark Ruffalo) & Co – bereits all die großen Taten vollbracht hat, die Filmfans als das Marvel Cinematic Universe kennen.
Da muss selbst Großmaul Deadpool erst einmal schlucken, lässt sich auf den Deal aber freilich nicht ein: Seine Freunde hinter sich lassen, wohlwissend, dass diese Welt zugrunde geht – und er soll auf Earth-616 ein reines Gewissen haben? Da muss es doch noch eine andere Lösung geben!
Und ja, die gibt es: Kurzum entwendet Deadpool von Mr. Paradox – der zur Zeithüter-Organisation TVA gehört (hier wäre ein klein wenig Vorwissen aus der Serie „Loki“ hilfreich aber kein Muss!) – ein Gerät, mit dem er durch die Zeitebenen springen kann, schnappt sich einen noch lebenden Alternativ-Wolverine (ebenfalls wieder gespielt von Hugh Jackman) und meint auf die Weise seine Gegenwart vor dem Untergang bewahren zu können.
Doch die TVA lässt sich nicht so gern auf der Nase herumtanzen und verbannt die beiden Heroes zum Verrotten in die karge Wüstenwelt „Void“ (was aus dem Englischen übersetzt „Leere“ bedeutet). Diese macht den „Mad Max“-Filmen alle Ehre und wird von der tyrannischen Cassandra Nova (Emma Corrin) beherrscht – der Schwester von X-Men-Gründer Charles Xavier (in den alten „X-Men“-Filmen gespielt von Patrick Stewart).
Ob die glatzköpfige Tante eine Möglichkeit kennt, um Deapool und Wolverine zurück in ihre Heimat zu befördern? Nicht wirklich, aber zum Glück gibt es auf dieser Quasi-Müllhalde für Superheld:innen die niemand mehr haben möchte noch einige weitere Charaktere, mit denen sie sich verbünden könnten …
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Rezension: Unsere Kritik zum Film
Manchmal hören die Filmstudios tatsächlich auf die Wünsche des Publikums. Man muss mit den Marvel Studios (plus dem dahinter stehenden Disney-Konzern) und seinem Marvel Cinematic Universe oft kritisch sein, aber Studiochef Kevin Feige & Co haben häufig die größten Ohren, wenn es um die Erfüllung von Fan-Träumen geht.
Zuletzt machten sie 2021 das Kinopublikum glücklich, indem in „Spider-Man: No Way Home“ auch die früheren Spider-Man-Darsteller Tobey Maguire und Andrew Garfield mitschwingen durften. Und nun wird im „X-Men“-Universum (das seit der Übernahme von 20th Century Fox durch die Walt Disney Company im Jahr 2019 ebenfalls in den offiziellen Zuständigkeitsbereich der Marvel Studios fällt und damit endlich rechtskonformer Teil des MCU werden könnte) ein anderer Herzenswunsch der Fans erfüllt:
Antiheld Deadpool – der bisher mit seinen beiden Solo-Filmen „Deadpool“ (2016; Regie: Tim Miller) und „Deadpool 2“ (2018; Regie: David Leitch) rund 1,6 Milliarden US-Dollar bei vergleichsweise moderaten Produktionskosten einspielte – wird endlich auf den charismatischsten aller X-Men treffen, auf den grimmig-grantigen Wolverine – ein Gipfeltreffen der Publikumslieblinge Ryan Reynolds und Hugh Jackman in „Deadpool & Wolverine“, dem aktuellsten und einzigen Marvel-Film des Jahres 2024!
Letzterer pumpte sich trotz seiner 55 Lebensjahre wieder auf einen Muskeltonus zurück, für den wahrscheinlich sogar Dwayne „The Rock“ Johnson seine Seele verkaufen würde. Hugh Jackman, der seine Paraderolle als Wolverine eigentlich bereits in James Mangolds großartigem Actiondrama „Logan – The Wolverine“ (2017) im wahrsten Sinn zu Grabe trug, kehrt nun also doch noch einmal zurück und fährt die Krallen aus. Damit baut Hugh Jackman einen persönlichen Rekord im Guinness Buch der Weltrekorde aus: er ist der längstdienende Marvel-Superheld, der konstant von derselben Person verkörpert wird! Seinen ersten Auftritt als Wolverine hatte er im Jahr 2000 in Bryan Singers „X-Men“.
Dass Deadpool und Wolverine aufeinandertreffen ist natürlich kein Spoiler (man blicke nur auf den Filmtitel „Deadpool & Wolverine“) – aber natürlich haben bereits die ersten Trailer für offene Münder gesorgt. Endlich passiert das, wovon Fans der Marvel-Comics schon lange träumen. Ob dieser „Wow-Effekt“ aber auch noch anhält, nachdem anno 2024 die Abspann-Credits dieses Films gelaufen sind?
Beginnen wir beim wichtigsten Punkt: Wie ernst kann man Filmreihen nehmen, die zwar nicht häufig aber doch immer wieder (und dann umso effizienter!) Publikumslieblingen das Lebenslicht ausknipsen, nur um sie dann Jahre später doch noch einmal (meist via „Zeitreise“) wiederzubeleben? „Iron Man“ Robert Downey Jr. verabschiedete sich 2019 in „Avengers: Endgame“ auf epischste Weise von seiner Paraderolle und schloss, in dieser Position, lange Zeit eine Rückkehr ins Marvel Cinematic Universe aus – bis er kürzlich als Superbösewicht Doctor Doom (aus dem Kosmos der „Fantastic Four“) demaskiert wurde. Einmal MCU, immer MCU, so scheint es zumindest. Bei Hugh Jackmans Wolverine und seinem epochalem Heldendrama „Logan – The Wolverine“ ist es eine ähnliche Geschichte, jedoch scheinen sich die Kreativköpfe rund um Kevin Feige und Ryan Reynolds schon sehr bewusst gewesen zu sein, welch großes Vermächtnis sie hier anfassen.
Direkt zu Beginn des Films „Deadpool & Wolverine“ wird erklärt, dass man zwar vorgehabt hätte, eben genau jenen James Howlett/Logan/Wolverine im Wortsinn „auszugraben“, doch der Zug ist, wie man erfährt, abgefahren. Ein zugegeben nettes Storytelling-Element, das „X-Men“-Fans aber aufatmen lassen sollte. Dann passiert jedoch das, wofür die Marvel-Filme spätestens seit der Einführung des Multiversums (Doctor Strange sei’s gedankt) bestimmt keinen Innovationspreis mehr kassieren: Sie schicken Deadpool einfach in alternative Zeitlinien diverser Parallelwelten und lassen in dort auf eine bzw. mehrere Varianten von Wolverine treffen (Achtung, es gibt einen wirklich coolen Kurzauftritt eines britischen Superstars, der bereits Comicfilm-Erfahrung hat).
Kann man machen und man weiß auch, dass der Typ an der Seite von Deadpool in diesem Film eben nicht jener Superheld ist, der seit dem Jahr 2000 in über zehn CentFox-„X-Men“-Filmen die Adamantiumkrallen ausfuhr, aber dennoch ist es schwer auszublenden.
Dazu „Logan“-Regisseur James Mangold in einem Interview mit dem Rolling Stone Magazine: „Die Einführung von multiplen Filmuniversen bedeutet den Tod des Geschichtenerzählens. Mein Ziel ist es, einzigartige Filme zu machen und das Publikum nicht ständig auf die Suche nach Easter Eggs zu schicken.“
Nicht falsch verstehen, jeden weiteren „X-Men“-Film mit dem überaus charismatischen Hugh Jackman würden wir sofort verschlingen, aber nun, wo die Marvel Studios in der Sinnkrise stecken (seit dem Abschluss der „Infinity Saga“ vielleicht auch zurückzuführen auf ein Überangebot an Serien und großteils entbehrlichen Solofilmen?) bedient man sich jetzt plötzlich der Figuren, die man jahrelang auf die Ersatzbank platzierte. Hier spielten in der Vergangenheit natürlich auch die Rechte an den einzelnen Franchises eine Rolle, aber es fühlt sich 2024 unter diesen Umständen aufgesetzt an.
Aufgesetzt ist das Stichwort: kommen wir zum Humor und allgemeinen Ton des Films. Einem „Deadpool“-Fan muss man freilich nicht erklären, dass sich der „Söldner mit der großen Klappe“ – anders als seine noblen Avengers-Kollegen – kein Blatt vor den Mund nimmt und Ballerorgien feiert, die auch in hundert Jahren keine Jugendfreigabe erhalten würden. Es spritzt das Blut, es wird geflucht – die F-Bomben fliegen nur so durch die Luft!
2016 mag das es vielleicht noch „cool“ gewesen sein, einen Super- bzw. Antihelden „Fuck“ sagen zu hören, das kann man acht Jahre später aber auch nicht mehr als Neuerfindung des Genre-Rads verbuchen. Ryan Reynolds ist zwar ein Meister der Selbstironie und legt höchsten Wert darauf, seinen Deadpool so akkurat wie möglich an die Comics anzulehnen, überstrapaziert die Lage mit seinen Jokes diesmal aber doch gewaltig. Hier ein sexuell aufgeladener Witz, da ein Bruch der vierten Wand, wenn dann doch einmal etwas ernstes passiert folgt in der Sekunde darauf etwas „lustiges“ – und das ganze nochmal von vorn. Dazwischen streut man kultige Pop-Songs aus den 80er-, 90er- und 2000er-Jahren (diesmal hören wir u. a. „Like a Prayer“ von Madonna und „Bye Bye Bye“ von NSYNC) – fertig ist der „Heilbringer“, der das Marvel Cinematic Universe wieder auf Schiene bringen soll.
Dass es den Marvel-Filmen und -Serien an ernster Tonalität fehlt, ist zwar nichts neues (das können die Werke vom Konkurrenzverlag DC Comics wahrlich besser!), sollten sich die Studiochefs und Produzenten bei Marvel aber langsam dringend überlegen. Auch der neuseeländische Oscar-Regisseur Taika Waititi kann ein Lied davon singen: Mit „Thor: Tag der Entscheidung“ schuf er 2017 einen wirklich originellen Marvelfilm bei dem der Schmäh perfekt gelaufen ist, 2022 in „Thor: Love and Thunder“ schoss der begnadete Spaßvogel aber dezent übers Ziel hinaus – man erinnere sich nur an diese dämlichen Ziegen! Die einzige Heldentruppe, die es bis dato konstant schafft den komödiantischen Drahtseilakt zu gehen ohne dabei nervig zu werden, sind die „Guardians of the Galaxy“.
Ist „Deadpool & Wolverine“ deshalb aber ein „schlechter“ Film? Sagen wir so: er ist sehr ambivalent. An erster Stelle steht die Handlung, die ausgeschrieben auf einen Bierdeckel passen würde. Deadpool reist in Parallelwelt und schnappt sich Wolverine um seine Welt zu retten. Punkt. Dazwischen fast ausschließlich Explizites und – jetzt kommen wir zu einer Stärke des Werks – zahlreiche Gastauftritte.
Wir möchten an dieser Stelle niemanden spoilern und die Freude an dem Film nehmen, aber die Phalanx an Stars, die sich in „Deadpool & Wolverine“ die Klinke in die Hand gibt, ist gigantisch und einige der Cameos brechen sogar doppelt durch die Metaebene. Da sehen wir Figuren aus längst vergessenen Filmen (von denen viele vermutlich nicht einmal wussten, dass sie Marvel zugeordnet gehören), man sieht Schauspieler:innen in Rollen gecastet, für die sie vielleicht einmal angedacht waren jedoch nie den Zuschlag bekamen und es gibt – wahrscheinlich absichtlich – sogar einen prominenten Gastauftritt eines Herren, der im Marvel-Kosmos tatsächlich bereits zweimal in unterschiedlichen Rollen im Einsatz war. Das Multiverse macht es möglich und sorgt, so ehrlich muss man sein, für einige charmante Wiedersehen, bei denen sich die Mundwinkel dann doch wieder langsam nach oben ziehen.
Überraschend ist auch, dass man der Handlung von „Deadpool & Wolverine“ auch folgen kann, wenn man all dieses geballte Fachwissen nicht hat. Ist es von Nöten, sich die Marvel-Serie „Loki“ angesehen zu haben? Nein, ist es nicht! Auch der Verfasser dieser Zeilen hat sich bis auf „WandaVision“ keine einzige Marvel-Serie zu Gemüte geführt. Es knüpft wahrscheinlich etliche Fäden besser zusammen, wenn man auf dem Letztstand des MCU wäre, aber Deadpool durchbricht an solchen Stellen im Film einfach in gewohnter Manier die vierte Wand und gibt dem Publikum stattdessen einen kleinen Seitenhieb („Das ist doch dieses Gerät aus der dritten Folge der fünften Staffel von dieser Serie …“).
Wie lautet nun unser ehrliches Feedback? Würde sich das MCU nach „Deadpool & Wolverine“ (dem wir natürlich seinen erhofften Box-Office-Triumphzug gönnen würden!) tatsächlich wieder darauf besinnen, mehr Wert auf die Qualität einzelner weniger Projekte zu lenken, anstatt im Dauerfeuer Serienware zu produzieren, könnte man einer neuen Ära der Marvel-Superheld:innen entgegenblicken. Ständig alles mit dem Mega-Projekt „Infinity Saga“ (2008–2019) zu vergleichen wird auf Dauer fad, es zeigt aber, dass die Marvel Studios auch anders können und das Zeug dazu haben, über ein Jahrzehnt hinweg eine gigantische Handlung perfekt zu erzählen, den Spannungsbogen auf Anschlag zu halten und Handlungen geschickt ineinander zu verweben. Findet bitte wieder zu eurer alten Stärke zurück!
Angeblich soll „Deadpool & Wolverine“ bereits einen Grundstein für Phase 7 des MCU gelegt haben, die den Auftakt der „Mutant Saga“ bilden wird. Bis dahin wird allerdings noch etwas Zeit vergehen, denn aktuell befinden wir uns (so Kevin Feige seinen Zeitplan einhält) in Phase 5, also dem Mittelteil der „Multiverse Saga“, die uns noch zumindest bis 2027 mit etlichen Filmen und Serien speisen wird. Bleibt zu hoffen, dass wir uns in der Zwischenzeit nicht endgültig an Superheldenfilmen sattgegessen haben – ein gewisses Völlegefühl lässt sich nämlich nicht mehr leugnen …