Der Herr Karl

Der Herr Karl

Beschreibung

Das Bild ist, seiner Entstehungszeit geschuldet, körniges Schwarz-weiß im fast quadratischen Format 4: 3. Schauplatz ist der Lagerkeller eines Feinkostgeschäftes, und ein neuer Mitarbeiter soll eingeschult werden. Doch statt zu arbeiten, setzt der feiste (Anti-)Held Herr Karl (grandios und zeitlos dargestellt von Austro-Legende Helmut Qualtinger) an, einem „jungen Menschen“ – dem Zuschauer – ungefragt seine Lebensgeschichte zu erzählen: „Mir brauchen Se gar nix d'erzählen, weil i kenn des. Die Art von Geschäften kenn i scho, da Sie san a junger Mensch, da war i scho Weil ich war auch einmal ein junger Mensch. Aber des woar eine andere Zeit.“

Hinter der Fassade der Gemütlichkeit zeigt er sich, wie er wirklich ist: eine Fahne im Wind, ewiger Raunzer, opportunistischer Mitläufer, Drückeberger und skrupelloser Profiteur, der nur auf seinen Vorteil bedacht ist.

Als 1934 die klerikalfaschistische Diktatur errichtet wird, mutiert der bisherige Sozialist zu einem Anhänger der Christlichsozialen. Nach dem Einmarsch der Nazis 1938 wechselt er sofort in dieses politische Lager, um sich nach 1945 den Besatzungsmächten anzudienen …

Rezension: Unsere Kritik zum Film

„Der Herr Karl“ (1961) war eine Glanzrolle für die österreichische Schauspiellegende Helmut Qualtinger (1928–1986), bitterböse, satirisch und doch brillant und liebevoll dargestellt. Der demaskierende, knapp einstündige Monolog, der in Wahrheit nie seine Aktualität verloren hat, ließ tief in die Seele Nachkriegs-Österreichs blicken.

Lange vor „Kottan ermittelt“ oder „Ein echter Wiener geht nicht unter“ geriet das Fernsehspiel bei seiner TV-Premiere zu Beginn der 60er-Jahre zum Skandal und ist heute ein österreichischer Klassiker der Autoren Carl Merz und Helmut Qualtinger. Kult!

Als „Der Herr Karl“ am 15. November 1961 im ORF gezeigt wurde, steckte das heimische Fernsehen mit nur einem Kanal (FS1; heute ORF 1) noch in den Kinderschuhen. Die Flimmerkiste galt als Nischenmedium, gemäß des abfälligen Spruchs von Bundeskanzler Julius Raab: „Das ist doch alles ein Baberlzeug!“

Doch an diesem Abend ließ das Baberlzeug die junge Republik beben. „Der Herr Karl“, verfasst von Helmut Qualtinger und (dem viel zu wenig gewürdigten) Carl Merz, und perfekt inszeniert von Erich Neuberg, erwies sich als witzige, leicht konsumierbare, aber bitterböse und wahrhaftige Abrechnung mit dem österreichischen Opportunismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Qualtinger, dem Publikum bis dahin bekannt als Filmnebendarsteller, Kabarett-Unikum auf den Bühnen Gerhard Bronners und Interpret großer Satire-Hadern („Der Papa wird’s schon richten“, „Der g’schupfte Ferdl“), konfrontierte das Volk gnadenlos mit seinen gemütlichen Abgründen in Gestalt eines Mannes, der sich ein Leben lang durchlaviert.

Beruflich als fauler Gelegenheitshackler mit Hang zu kleinen Betrügereien. Privat kommt er als jede Chance bei den Frauen nützender Egoist durch. Und politisch war der Schwerenöter ohne Empathie brandgefährlich. Ob Heimwehr, Schutzbund, dann die Nazis und nach 1945 die alliierten Besatzer – das Fähnchen des Herrn Karl hing immer in dem Wind, in dem die meisten Vorteile mitwehten: „Bis 34 woa ich Sozialist. A ka Beruf. Später bin i demonstrieren gangen für die Schwarzen. Für die Heimwehr, ned? Hab i fünf Schilling kriagt. Dann bin i ummi zum, zu die Nazi – da hob i a fünf Schilling kriagt. Na ja, Österreich war immer unpolitisch.“

Alles gipfelt im Wiedersehen mit dem jüdischen Herrn Tennenbaum, den er 1938 zum Straßenputzen gezwungen hat. Jetzt, nach der glücklichen Heimkehr, grüßt Tennenbaum nicht, was der Herr Karl überhaupt nicht versteht: „Was hab ich g'macht? Ich hab nur an Juden g’führt. Ich bin a Opfer.“

Das explodierte in der damals für ihre restbraunen Flecken blinden Gesellschaft wie übersehene Blindgänger in den Bombenruinen, die im Wiener Stadtbild noch da waren. Eben noch hatte man es sich dank Staatsvertrags, Aufschwungs und historischen Persilscheins, das erste Opfer Hitlers gewesen zu sein, bei gutem Gewissen und Dopplerwein gemütlich gemacht, und dann diese „Nestbeschmutzung!“

Schon während der Sendung glühten die ORF-Telefonleitungen. Eine wörtliche Beschwerde: „Kaum ist Gras über die Sache gewachsen, kommt so ein Kamel daher und frisst es wieder weg!“ Die beiden Autoren bekamen körbeweise Briefe in einer Tonlage zwischen harscher Kritik und präzise ausformulierten Morddrohungen.

Die professionellen Kritiker hingegen waren verzückt. „Der Herr Karl wollte einem bestimmten Typus auf die Zehen treten und ein ganzes Volk schreit au!“, fasste es Theaterkritiker Hans Weigel zusammen. Später diagnostizierte Erwin Ringel, Psychiater der Nation, dass die aus mehreren Vorbildern zusammengefügte, hauptsächlich aber auf dem ehemaligen Feinkosthändler Hannes Hoffmann basierende Figur „die Inkarnation der österreichischen Neurose darstellt.“ Auch das tat weh.

Die Erregung schlug bald um in Erfolg, den Helmut Qualtinger (der sein Bühnenfigur nie wieder richtig loswurde) so kommentierte: „Man hat zuerst gesagt, das ist eigentlich eine furchtbare Gemeinheit, dann hat man gesagt, es ist künstlerisch eigentlich sehr gut, und wir haben ja Humor, ned?“

Bis heute gilt Qualtingers Darstellung des Herrn Karl als einzig gültige. Schauspieler wie Erwin Steinhauer, Heribert Sasse, Martin Zauner und Klaus Rott haben sich später an der Figur versucht, mehr als freundliche Anerkennung war nie zu ernten. Der letzte, der es vergleichsweise erfolgreich probierte, war Andreas Vitásek.