Beschreibung
Bram Stokers 1897 erschienener Horror-Weltbestseller „Dracula“ ist nicht nur wegen der Titelfigur und der Geschichte bemerkenswert, sondern auch in seiner Struktur. Stoker erzählte die Geschichte des Vampirfürsten Graf Dracula, der von seiner einsamen Burg in den Karpaten über London kommt, nämlich als eine Folge von Zeitungsberichten, Tagebuchauszügen und Briefen.
Das Kapitel über die Ereignisse an Bord des Viermasters Demeter umfasst nur rund ein Dutzend Seiten in Form von Logbuch-Einträgen, vom 18. Juli bis zum 4. August – ist aber perfekter Ausgangspunkt für eine filmische Horrorreise ganz in der Tradition von Ridley Scotts „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“, bloß am Meer statt im Weltraum, und im 19. Jhdt. statt in ferner Zukunft: Ein Schiff, von dem es kein Entkommen gibt, zwei Handvoll Menschen an Bord – plus ein Monster, das die Crew peu à peu wegschnabuliert. Und das hat Regisseur André Øvredal („Troll Hunter“, „The Autopsy of Jane Doe“, „Scary Stories to Tell in the Dark“) aus diesem einen Kapitel gemacht:
Am 6. Juli 1897 legt endlich das Frachtschiff Demeter unter der Führung von Captain Eliot (Liam Cunningham) von einem bulgarischen Schwarzmeerhafen Richtung England ab. Das Beladen war mühsam, weil sich niemand fand, der die seltsame Fracht – 50 Holzkisten mit Erde – einladen wollte.
Und die seltsamen Vorkommnisse gehen während der Fahrt weiter. Erst entdeckt man eine verängstigte blinde Passagierin (Aisling Franciosi), dann werden alle Tiere an Bord grausam getötet. Als sich die ersten Mitglieder der kleinen Besatzung in Luft auflösen, wird allen klar, dass sie etwas an Bord haben, das Jagd auf alles Lebendige macht …
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Rezension: Unsere Kritik zum Film
Schon Friedrich Wilhelm Murnau setzte 1922 in seinem Stummfilmklassiker „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ im Bauch der Demeter eine Szene, deren Gänsehautfaktor bis heute wirkt. Nämlich als er seinen Vampir-Grafen Orlok, gespielt von Max Schreck, quasi senkrecht, mit gekreuzten Armen und irrem Blick, aus dem Sarg hochfahren lässt. Die steile Stummfilmvorlage plus die „Alien“-Dramaturgie hat in den letzten zwei Jahrzehnten immer wieder Neuverfilmungsabsichten mit prominenten Regisseuren an Bord aufflammen lassen; sogar der österreichische Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky („Die Fälscher“) war darunter.
Jedenfalls hat der Norweger André Øvredal am Ende gewonnen, durfte das bereits vor 10 Jahren von Autor Bragi F. Schut („Der letzte Tempelritter“, „Samaritan“) entwickelte Drehbuch verfilmen – und er beginnt gar nicht schlecht. Okay, seine Bearbeitung ist natürlich brav, aber zumindest glaubwürdig divers (am häufigsten im Fokus der Kameralinsen steht klar Corey Hawkins als schwarzer Schiffsarzt), und die Bilder der Kameraleute Roman Osin und Tom Stern sehen sehr gut aus. Dazu versprechen Ausstattung und Kostüme viel – in denen allerdings keine Stars stecken, sondern solide Darsteller aus der zweiten und dritten Reihe.
Und Øvredal hat den Faden der „Alien“-Dramaturgie tatsächlich konsequent aufgenommen, sogar die Dauerdebatten der Mannschaft über winkende Boni wurden eingebaut – aber dann ein Ding übersehen. Die Nostromo, das Raumschiff in Ridley Scotts Meisterwek, war nämlich ein definierter Charakter, quasi eine eigene Figur. Diese Demeter hingegen ist schlicht ein nett nachgebauter Studio-Schoner, aus dessen Ecken gelegentlich Dracula hüpft.
Und auch der schwächelt mit seiner Latex-GCI-Struktur visuell. Es tritt der seltsame Effekt ein: Je öfter das Fledermaus-Wesen das Blut spritzen lässt, umso glatter wird der ganze Film. Ein paar der Schreckeffekte wirken trotzdem ganz gut, und die erzählerischen Freiheiten, die sich die Macher genommen haben, schaden dem Film auch nicht.
Fazit: „Die letzte Fahrt der Demeter“ (2023) entpuppt sich als solider Mittelgewichtshorror ohne Sensationen, aber man merkt, hier wurde eine Chance auf Großes vergeben.