Joker: Folie à Deux

Joker: Folie à Deux

Beschreibung

Vom Regen in die Traufe, könnte man sagen. Nicht nur, dass es beim Finale von „Joker“ (2019) ordentlich nass wurde, der Film von Regisseur Todd Phillips überraschte in einem Meer von mittelwertiger bis schlechter Ware aus dem Umfeld des Verlagshauses DC Comics (Anm.: u. a. Superman, Batman, Wonder Woman und Aqua Man) Kritiker und Publikum, gewann den Goldenen Löwen in Venedig und zwei Academy Awards: Joaquin Phoenix in der Oscar-Kategorie „Bester Hauptdarsteller“ sowie die isländische Komponistin Hildur Guðnadóttir für die „Beste Musik“.

Dann folgte die große Diskussion: Kopierte „Joker“ allzu bereitwillig bei den Größen des New-Hollywood-Kinos der 70er-Jahre? War die Handlung Martin Scorseses „The King of Comedy“ (1982), in dem Robert De Niro auch mitspielte, nicht ein wenig zu ähnlich? Und überhaupt: Glorifizierte „Joker“ unfreiwillig enthaltsame Männer, die ihr Scheitern durch Frauenhass und Wut auf die Gesellschaft ausdrücken?

All das scheint sich die zweite Runde im Psycho-Karussell von Arthur Fleck alias Joker (Joaquin Phoenix) wohl ein wenig zu sehr zu Herzen genommen zu haben. Denn wo der erste Film von 2019 Ecken und Kanten hatte, hat „Joker: Folie à Deux“ anno 2024 vor allem viel bunte Musik.

Als Musical kündigte Filmemacher Todd Phillips die Geschichte an, herausgekommen ist eine Jukebox-Musikrevue, die unter anderem „Slap That Bass“ (Fred Astaire), „Get Happy“ (Judy Garland), „What the World Needs Now Is Love“ (Tom Jones), „Ne me quitte pas“ (Jacques Brel) oder „That’s Life“ (Frank Sinatra) in ihrem Repertoire hat. Ein Film, in dem die Figuren wie Fred Astaire und Ginger Rogers über das Parkett schweben oder wie Sonny und Cher im Takt der Musik schaukeln. Und wirklich: Die Musik funktioniert, ist sogar einer der Höhepunkte in diesem Genremix. Denn so wie Arthur Fleck vermeintlich zwei Seelen in seiner Brust hat, so lebt die Geschichte von mehreren Ebenen: dem Musical, der Romanze, dem Gerichtsdrama, dem Psychodrama, dem Gefängnisdrama.

Das Problem, das sich bei „Joker: Folie à Deux“ (2024) auftut, ist, dass sich das Werk wohl nach der vorangegangenen Kritik gar nicht mehr positionieren will. Die Distanz zu den Assoziationen einer gewissen toxischen (männlichen) Subkultur wahren will, aber auch die kaum vorhandene Handlung rein durch die Linse des Vorgängers erzählen möchte.

Die Story legt damit los, dass Arthur seit drei Jahren im Gefängnis Arkham auf seinen Gerichtstermin für den Live-im-Fernsehen-Mord an Talkshow-Host Murray Franklin (Robert De Niro) wartet. Dort wird er täglich von den Wärtern, etwa dem quietschfidelen Jackie Sullivan (Brendan Gleeson) beleidigt und gequält. „Erzähl einen Witz, Arthur“, fordern sie ihn jeden Tag auf. Aber jeder, der „Joker“ gesehen hat, weiß, dass Arthur absolut unwitzig ist. Kein geborener Star für die Bühne. Das sieht die in einem anderen Trakt untergebrachte Harley „Lee“ Quinzel (Lady Gaga) jedoch anders. Der Joker habe sie sich erstmals nicht allein fühlen lassen, gesteht sie Arthur, als sie sich bei einer Gesangsstunde kennenlernen. Musik ist Arthur wichtig. Ein Refugium. Er habe Musik gehört, erklärt er einmal, als er Murray getötet hatte. Folglich erscheint ihm auch Lee, mit der sich sofort eine wilde, zerstörerische Romanze entspinnt, immer wieder in seinen musikalischen Fantasien.

Todd Phillips wechselt also nahtlos von den toxischen männlichen Fans zu weiblichem Superstalking, aber auch zur romantischen Idealisierung einer Frau. „Endlich werde ich gebraucht“, erklärt Arthur seiner Anwältin Maryanne Stewart (Catherine Keener).

Die ist über diese Entwicklung gar nicht glücklich. Immerhin soll Arthur vor Gericht nicht der Joker sein, sondern der gebrochene Mann, dessen traumatische Kindheit ihn eine zweite Persönlichkeit hat entwickeln lassen. So soll die von Staatsanwalt Harvey Dent (Harry Lawtey) geforderte Höchststrafe – Hinrichtung am elektrischen Stuhl – umgangen werden. Doch weder seine Fans noch Lee finden dieses weinerliche Selbstmitleid gut. Sie pochen darauf, dass Arthur endlich sein wahres Ich zeigt.

So wie der Film ein Mosaik aus Genres und Ideen ist, das zu keinem Punkt kommt, kann sich aber auch Arthur nicht entscheiden, ob er wirklich der vermeintliche „Held“ dieser Menschen sein will …

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Rezension: Unsere Kritik zum Film

Diese Idee, dass man es als Berühmtheit niemandem recht machen kann, und die Presse und das Publikum stets den Skandal erwarten, hätte das Potenzial für eine wirklich gute Gesellschaftssatire oder ein Drama gehabt. Dazu müsste der Film aber aus dem Schatten des gefeierten Vorgängers treten und irgendwo auch einmal Stellung beziehen. Tut er aber nicht. Vielleicht ist es des Jokers größter (und auch unwitzigster) Witz, dass „Joker: Folie à Deux“ immer wie in Startposition verharrt, auf das Signal wartend, endlich loszulegen, nur um dann in die verkehrte Richtung loszugaloppieren.

Angeblich hatte Joaquin Phoenix während der Dreharbeiten öfter Überarbeitungen des Drehbuchs verlangt. So wirkt die Handlung beizeiten auch. Dazu ist Lady Gagas Talent beinahe verschwendet, da ihre Interaktionen fast ausschließlich in den Fantasien Arthurs stattfinden. Als Sängerin ist Gaga immer Gaga, als Lee hat sie (wenn sie nicht singt) eher wenig zu tun. „Wir werden einen Berg bauen“, verspricht sie Arthur immer wieder leidenschaftlich. Herausgekommen ist dabei höchstens ein rumpeliges Hügelchen.

Psychologisch betrachtet steht „Joker: Folie à Deux“ (2024) seinem Vorgänger (dem Oscar-Hit „Joker“ von 2019), um Nichts nach, im Gegenteil: Die Persona Arthur Fleck wird hier noch deutlicher in ihrer zwiegespaltenen Urform seziert. Leider bewegt sich der Film dahingehend ab einem gewissen Punkt im Film auch nicht weiter vom Fleck (nein, kein Wortwitz an dieser Stelle).

Das größte Highlight bildet jedoch eine Szene im Gerichtssaal (Anm.: allgemein könnte man sagen, dass „Joker: Folie à Deux“ etwas von einem Justiz-Thriller-Drama hat), in der Arthur sich selbst als Anwalt vertritt und im Zuge dessen den Joker das Ruder übernehmen lässt. Was er da von sich gibt und nach und nach auch immer den eigentlichen Menschen „Arthur Fleck“ durchscheinen lässt, ist grandios gemacht. So gut, dass einmal kurz sogar der Joker selbst stuzig wird.

Fazit: „Joker: Folie à Deux“ (204) ist trotz aller Vorankündigungen der Warner Bros. Marketingabteilung, ein „Musical“ zu sein, immer noch über den Großteil seiner Laufzeit hinweg ein Thrillerdrama, das im Vergleich zum vielgefeierten Vorgänger auf Nummer sicher spielt und bestimmt auch einige aufgelegte Elfer vergibt. Unentschlossen ja, aber gewiss kein schlechter Film.

Fun Fact: Die im Filmtitel angeführte Phrase „Folie à deux“ kommt aus dem Französischen, ist in der Psychologie beheimatet und bedeutet auf Deutsch „Geistesstörung zu zweit“. Dabei kommt es zu einer Übernahme von Wahnvorstellungen durch eine vormals gesunde Person, hervorgerufen durch einen an einer Psychose erkrankten Menschen – angespielt wird im Film dabei natürlich auf das Verhältnis zwischen dem Joker und Harley Quinn.