Beschreibung
Exzess, Konflikt, Einsicht, Entzug, Rückfall. Nach diesem Muster werden Geschichten über Suchterkrankungen häufig erzählt – und auf den ersten Blick hantelt sich auch das Drama „The Outrun“ (2024) der deutschen Filmemacherin Nora Fingscheidt an diesen Stationen entlang.
Was den Film aber besonders macht, ist die Art und Weise, wie die Erzählung diesen Kreislauf, dem die Betroffene nur schwer entkommen kann, durch poetische Montagetechniken aufbricht und so viel interessantere und eindringlichere Aspekte freilegt.
Aber der Reihe nach: Die in den USA geborene irische Darstellerin Saoirse Ronan („Lady Bird“, „Little Women“) spielt Rona, die in London als Biologin an der Uni arbeitet und mit ihrem Partner Daynin (Paapa Essiedu) ein halbwegs geregeltes Leben führt. Denn Rona ist Alkoholikerin und trinkt oft, bis sie völlig die Kontrolle verliert.
Nach einem besonders einschneidenden Abend macht Rona einen Entzug und beschließt anschließend, nach über zehn Jahren erstmals an den Ort ihrer Kindheit zurückzukehren. Auf den Orkney Islands vor der Nordküste Schottlands besucht sie ihre Eltern, die seit Jahren getrennt leben, hilft ihrem Vater (Stephen Dillane) auf seiner abgelegenen Schaffarm und trifft Freunde und Familie bei ihrer Mutter.
Klar ist: Rona will eigentlich nach London zu ihrem normalen Leben zurück. Doch sie wird länger auf den idyllischen, windgepeitschten Inseln bleiben als geplant …
Rezension: Unsere Kritik zum Film
Der Film „The Outrun“ (2024) basiert auf den Memoiren der Journalistin Amy Liptrot und übernimmt die assoziativspringende Struktur der Buchvorlage. Die Geschichte wird nicht linear erzählt, vielmehr vermischen sich Szenen aus Ronas Kindheit mit ihrer Zeit in London und ihrem jetzigen Leben in der wilden Natur Orkneys, während im Voice-Over längere Passagen der Vorlage zitiert und immer wieder poetische Reflexionen und mythische schottische Folklore eingestreut werden.
Ohne jemals konfus zu wirken, ist das Resultat ein virtuos montierter Streifen, der die zwingend auftretenden Rückfälle und Erfolge Ronas nicht ins Zentrum rückt, sondern die kleinen Momente dazwischen einfängt und Rona als Figur vielschichtig und nahbar macht.
Den Kreislauf der Sucht bricht „The Outrun“ narrativ auf und zeigt so umso wirkungsvoller, wie schwer der Ausbruch für Rona ist. So antizipiert man nie erwartungsvoll den nächsten Moment der Versuchung, sondern richtet den Blick auf die vielen schönen und gleichzeitig schwierigen Erlebnisse der Protagonistin. Wir folgen ihr, als sie Schafe auf die Welt bringt oder für einen Job Vogelrufe dokumentieren muss. Die raue, wunderschöne Natur fängt die deutsche Regisseurin Nora Fingscheidt („Systemsprenger“) dabei in stimmungsvoll gefilmten Bildern ein.
„The Outrun“ ist aber nicht nur feinfühlig inszeniert und clever erzählt, sondern bietet auch eine der besten Schauspielleistungen des Jahres. Die gewohnt tolle Saoirse Ronan verkörpert Rona mit viel Hingabe als vielschichtige und klischeebefreite Frauenfigur und spielt sowohl die tragischen als auch lebensfrohen Momente mit einer bewundernswerten Natürlichkeit. Die bereits viermal für einen Oscar nominierte 30-Jährige hätte sich für diese Leistung zumindest eine weitere Nominierung absolut verdient!