The Substance

Beschreibung

US-Schauspielerin Elisabeth Sparkle (Demi Moore) hatte alles – die Betonung liegt auf hatte. Die einstige Oscargewinnerin darf mit Anfang 50 gerade noch für Fitnessvideos in hautengen Turnanzügen im amerikanischen Frühstücksfernsehen herumhoppeln (und macht dabei immer noch eine gute Figur), für den TV-Produzenten Harvey (Dennis Quaid; sein Charakter wurde wohl nicht ohne Grund so getauft) können die Damen vor den Kameras aber nicht jung und knackig genug sein. Die einstige Hollywood-Diva schickt er in die Frühpension und castet schon tags darauf per Zeitungsannonce das Topmodel von morgen.

Elisabeth, die sich bislang wohl auch selbst großteils über ihr Äußeres definierte, erfährt durch Zufall vom Wundermittel „The Substance“ – das sie sich, einen ominösen Telefonanruf später, in einer schäbigen Seitengasse von L. A. aus einem Postkasten fischt. Dem Paket beigelegt sind nebst einer giftgrünen Flüssigkeit diverse Spritzen, Flüssignahrung und Gebrauchsanweisungen, die so simpel wie verwirrend auch vom schwedischen Möbelgiganten IKEA stammen könnten.

Wer sich besagte Substanz injiziert, regt im Körper die Zellvermehrung an und hat nach wenigen Stunden einen perfekten jüngeren Klon von sich im Zimmer stehen. Einzige Bedingung: Wirtin und Abziehbild teilen sich fortan ein gemeinsames Leben, jede Woche kommt eine andere dran – währenddessen fällt die Zweite in eine Art Paralyseschlaf.

Elisabeth wittert ihren zweiten Frühling, und einen Nadelstich später entsteigt ihr, wie ein Schmetterling seinem Kokon, die schöne Sue (Margaret Qualley). Dass die junge Hübsche schon bald ein Eigenleben entwickelt und sich nicht an die 7-Tage-Regel halten will, soll sehr unschöne Folgen für Elisabeth nach sich ziehen …

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Rezension: Unsere Kritik zum Film

Mit ihrer zweiten Langfilmregiearbeit „The Substance“ (2024) entfesselt die Französin Coralie Fargeat einen irren Sog und ging wohl mit der Checkliste die namhaftesten Vertreter und Werke aus dem Fach des Body-Horror-Genres durch. Hier treffen David Cronenberg („Die Fliege“) und Stanley Kubrick („Shining“) auf David Lynch („Der Elefantenmensch“), Brian De Palma („Carrie – Des Satans jüngste Tochter“) und Giorgos Lanthimos („Poor Things“) – die Geschichte selbst nimmt Anleihen bei Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“.

Wer beim Thema Schönheitswahn und Beauty-OPs an fragile Frauenbilder denkt, der irrt gewaltig – Regisseurin Fargeat gilt mit ihren feministischen Werken als äußerst direkt und radikal, und das spürt man auf allen Ebenen. Auf die Kameras wurden wahlweise Fischaugenlinsen für übertriebene Weitwinkel-Visuals geschraubt, die in der nächsten Einstellung mit extremen Close-ups so nahe am Geschehen sind, dass man jede Hautfalte einzeln abzählen kann.

Auf den Millimeter genau adjustierte Bildausschnitte erinnern an den Perfektionisten Kubrick (man denke an „2001: Odyssee im Weltraum“ oder „Uhrwerk Orange“), und Farbkontraste werden geschickt eingesetzt, um das an der Côte d’Azur gefilmte Werk aussehen zu lassen wie an einem Sonnentag am kalifornischen Venice Beach. Dazu gesellt sich die musikalische Untermalung von Benjamin Stefanski alias Raffertie, die ihr Übriges dazu beiträgt, dass „The Substance“ als homogenes Ganzes funktioniert.

Hauptdarstellerin Demi Moore (zum Start des Films im September 2024 mittlerweile 61 Jahre alt und selbst schon mehrmals unter dem Messer gelegen) liefert ein Karriere-Highlight ab und setzt sich mit „The Substance“ ein Denkmal, das Nachhall erzeugt.

Auch Mitspielerin Margaret Qualley – spätestens seit Quentin Tarantino sie für „Once Upon a Time in Hollywood“ (2019) entdeckte ein aufstrebender Star – ist bewusst attraktiv in Szene gesetzt und darf als hypersexualisierter Klon Moores Nachfolge antreten. Dass beide einen beträchtlichen Teil des Films ohne Bodydouble blankziehen, trägt außerdem zur Authentizität des Themenankers bei (anders, als es heuer bereits bei Emma Stone in „Poor Things“ zu sehen war, wo zu viel nackte Haut rein gar nichts zur Message des Films beitrug). Im Kontrast dazu stehen die wenigen maskulinen Figuren, die nur so von toxischer Männlichkeit triefen und wahlweise als Witzfiguren, alte weiße Männer und/oder schwanzgesteuerte Perverslinge stigmatisiert sind.

Für die Rolle von Dennis Quaid war ursprünglich übrigens US-Schauspieler Ray Liotta („GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia“) vorgesehen, der Ende Mai 2022, kurz vor Beginn der Dreharbeiten von „The Substance“, starb.

Mit 140 Minuten Spielzeit ist „The Substance“ bestimmt kein Film für zwischendurch, besonders wenn so viel Explizites passiert. Was zu Beginn bei einem ungustiösen Shrimpsessen mit Dennis Quaid (die Harvey-Weinstein-Anspielungen sind überaus direkt zu vernehmen) fast schon groteske Züge hat, wird einige venöse Nadelstiche später immer widerlicher – und allerspätestens beim blutgetränkten Ekelfinale, das selbst Tarantino alle Ehre macht, könnte es einem den Magen ausheben.

Die letzte halbe Stunde (sprich die Anbiederung an die Turnsaal-Szene aus „Carrie“) gibt dem Werk tatsächlich noch einmal einen neuen Drive und ist maßlos over the top inszeniert. Hätte man hier schon früher beendet, wäre auch noch eine gewisse Portion Anspruch gegeben gewesen, so mutiert „The Substance“ am Ende aber wortwörtlich zu einem Ungetüm, das man so nicht hat kommen sehen.

Fazit: Coralie Fargeats „The Substance“ ist radikal auf allen Ebenen, ein enorm wilder Ritt selbst für Hartgesottene und dennoch ein fantastisches Mahnmal für den von Medien aufgebauschten Schönheitswahn in der Entertainmentindustrie bzw. allgemein in der Welt der Frauen.

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